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Fund einer Goldkopie einer der schönsten Tage in seiner Amtszeit gewesen sei, die Goldkopie des Regensburger Codex Aureus wieder in Händen halten zu können. |
Die Entstehungsgeschichte des Codex Aureus und sein
Weg nach Regensburg - beginnend mit der im Jahre 870
erfolgten Beauftragung eines Skriptoriums in der
Benediktinerabtei Corbie bei Amiens in Nordfrankreich
durch Kaiser Karl den Kahlen - über die Schenkung im
Jahre 893 an die Abtei Sankt Emmeran bei Regensburg -
über die Renovierung und Ergänzung im Jahr 1000 durch
die Malermönche Aribo und Adalpertus - bis zur
Säkularisation und Übernahme im Jahre 1811 in die
Handschriftensammlung der Bayerische Staatsbibliothek
München - sind im Biographisch-bibliographischen
Kirchenlexikon und im Band 44 (Seiten 57-59) der
Veröffentlichungen zur Bayerischen Geschichte und Kultur
(2002) samt weiterführender Literatur ausführlich
dargelegt. Der Finder war wie vom Blitzstrahl gerührt, als er beim Aufräumen im Stadel eine Seite der auf einem alten Tisch liegenden, verschmutzten und beschädigten Kladden ahnungslos aufschlug und im staubigen Dämmerlicht sein Blick auf die mattgold schimmernden Zeilen und wenig später auf einen Buchstempel fiel. Die Gedanken an den sehr hohen kulturellen Wert dieser offensichtlich entwendeten Schriftensammlung und sein völlig unpassender Lagerungsort kamen sofort. Nach einem klärenden Gespräch, bei dem der Verantwortliche erst nach mehrmaligem Bitten zusagte, dass die Schriften an einen sicheren Verwahrungsort zurückgebracht werden dürfen, stellte sich beim Finder eine Mischung aus Trauer, Verwirrung, Entsetzen und Enttäuschung ein: der Verantwortliche war Philologe und pensionierter Lehrer im Rang eines Studiendirektors, der auf seine Bildung und Belesenheit großen Wert legte, sich in Bekanntenkreisen als Kenner europäischer Kulturstätten ausgab, gerne lateinische Sprichwörter zitierte und mit gnadenloser Sturheit seinem ältesten Sohn Zwangsnachhilfe in den Schulfächern Latein und Englisch verordnete. Dieser sehr starke Kontrast zwischen vordergründigem Anspruch und tatsächlicher Handlung - hier völliges Versagen in einer entscheidenden Situation - blieb für den Finder zunächst unbegreifbar. Zu diesem gespenstisch befremdlichen Verhalten passte, dass der Verantwortliche in einem Schreiben an die Handschriftenabteilung beteuerte, den Wert der Bände nicht erkannt zu haben. Es steht für den Finder außer Zweifel, dass durch die Schändung der Goldkopie des Regensburger Codex Aureus ein schwerer individueller Kulturbruch geschehen ist, weil ein Philologe eine wertvolle, da qualitativ sehr hochwertige Reproduktion des Regensburger Codex Aureus fast 20 lange Jahre an einem völlig ungeeigneten Ort sich selbst überlassen hat; jeder dort Vorbeikommende hätte sie mitnehmen können: der Stadel war nicht abgesperrt, weil das Schloss verrostet und der Schlüssel verloren waren. Bei Reparaturarbeiten im Spätherbst 1983 war der Stadel für mehrere Tage ohne Dach; zu dieser Zeit schneite es schon. Da die Kladden übereinander gestapelt lagen, war nur die Frontseite des zuoberst liegenden Bandes der Witterung und anderen Beeinträchtigungen direkt ausgesetzt (siehe Objekt auf der rechten Seite in der Datei Kladden). Die Handlungsweise des Verantwortlichen wird noch schwerer verständlich, wenn man weiß, dass er die Bücher schon bald nach Erhalt an die Adresse des Eigentümers hätte zurück geben können: die Buchstempel "Bibliotheca Regia Monacensis" und "Bayerische Staatsbibliothek München" sind auf den Seiten 1, 2, 50, 51, 150 und 252 deutlich zu erkennen. Es gilt als selbstverständlicher Bestandteil des bürgerlichen common sense, erhaltenes Kulturgut sorgfältig zu verwahren sowie zu pflegen und - wenn man erkannt hat, dass es entwendetes Eigentum ist und es einem deshalb nicht gehören kann - innerhalb einer akzeptablen Frist eine dafür zuständige Behördenstelle ausfindig zu machen, um es dort abzugeben; in diesem Fall wäre der Ansprechpartner sehr leicht ermittelbar gewesen. Hätte der Verantwortliche korrekt gehandelt, wäre er damals für seine Ehrlichkeit und sein Verantwortungsbewußtsein vielleicht sogar vom bayerischen Staat geehrt worden. Er könnte heute zu den Honoratioren seines Heimatortes zählen, da er zum Erhalt bayerischen Kulturgutes beitrug. Statt dessen hat er sich mit dieser Schandtat selbst einen gravierenden Makel zugefügt und zudem seine Zunft - den Bayerischen Lehrerinnen- und Lehrerverband - schwer blamiert. Die mit Sicherheit profanen Beweggründe, die dazu führten, dass genannte Bücher im Staub liegen gelassen wurden, wird man vom Verantwortlichen und seiner Vertrauten wohl nie erfahren. Sie haben bis dato nicht einmal mit einer Wiedergutmachungsgeste gegenüber dem Eigentümer Einsicht in ihr Fehlverhalten signalisiert. Hier ist zweifellos Unrecht geschehen, weil der Verantwortliche durch Aufrechthalten eigener Belange die kulturelle und eigentumsrechtliche Interessensphäre der Allgemeinheit beeinträchtigte. Dieses Fehlverhalten ist noch nicht vor Gericht verhandelt worden. Das erstaunt sehr, da Unterlassung, Unterschlagung oder Sachbeschädigung in dieser Dimension - mit anderen Worten: Beschädigung von Allgemeingut, Beeinträchtigung bürgerlicher Interessen und fortgesetzte Verletzung der Sorgfaltspflicht - nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch strafbar sind. Der Autor rang sich nach Überwindung seines durch die deprimierenden Fundumstände verursachten Traumas und nach langer Trauer- und Bedenkzeit zum Entschluß durch, Zivilcourage zu zeigen: als einziger Zeuge die Öffentlichkeit über diesen Kulturfrevel zu informieren. Denn es wäre das nächste Unrecht, als Wissender darüber zu schweigen, weil es dann unmöglich ist, über genanntes Fehlverhalten öffentlich zu reflektieren und daraus zu lernen: Res publica - eine öffentliche Sache - hier wertvolles bayerisches Kulturgut - ist durch Fahrlässigkeit gefährdet und beschädigt worden. Über diese Tatsache hat die Öffentlichkeit ein Informationsrecht. Und nur dann, wenn es erfüllt worden ist, können die Gemeinschaft und ihre Entscheidungsträger entsprechend reagieren, um die Ereignis-Wahrscheinlichkeit solcher oder noch schwer wiegenderer Kulturbrüche zu verringern. Damit solche Verluste für die Allgemeinheit in Zukunft seltener werden, sollten die Sachverständigen für kulturelle Pflege und Entwicklung Strategien zur Förderung von Wissenstiefe und Bildungsauthentizität planen und entsprechende Programme anwenden. Folgender Entwurf - in Form eines erweiterbaren, da offenen Fragenkatalogs - unterbreitet Anregungen philosophischer Natur, wie ein höheres Niveau an Wissenstiefe, Bildungsauthentizität, demokratischem Gemeinschaftssinn sowie Selbstwert und Selbstvertrauen bei Auszubildenden erreicht werden kann, und wie auch auf Seite der Erzieher diese für den friedlichen Fortbestand von Gemeinschaften wichtigsten Eigenschaften und Fähigkeiten eine höhere Wertschätzung und Qualität erfahren können: Wie
Auf den Punkt gebracht: Es geht vor allem
um die viel zu wenig beachteten Ideale und Ideen der
Gebrüder Alexander und Wilhelm von Humboldt, die sich
als universal gebildete Wissenschaftler mehr denn je als
Vorbilder eignen und an denen sich viele Eltern,
Erzieher, Didakten, Multiplikatoren, Ausbilder,
Autoritäten, Sachverständige und Entscheidungsträger
ein gutes und nachahmenswertes Beispiel nehmen können.
Gelingt es nicht, in Anbetracht der heutigen Sinn- und
Erziehungskrise bei Heranwachsenden zwanglos einen
Mentalitätswandel einzuleiten, indem ihnen z. B.
anerkannte Persönlichkeiten vorleben, um wieviel
zufrieden stellender es ist, anstelle oberflächlichen
Trend-Wissens zum Erlangen materiellen Reichtums tiefer
gehendes Wissen zum Zweck ganzheitlicher Bildung der
Persönlichkeit zu erwerben, dann erhöht sich die
Wahrscheinlichkeit, dass die dünne Kultur-Barriere gegen
latente Bestialität und Barbarei nachgibt und sich noch
größere Kulturkatastrophen als die während der
Nazidiktatur oder der chinesischen
"Kulturrevolution" ereignen werden.
Dieser Hilferuf Johann Wolfgang von
Goethes auf seinem Sterbebett gilt im übertragenen Sinn
auch für die derzeitige, in vielen Bereichen desparate
Bildungs- und Erziehungssituation, Folge einer zu wenig
vorangebrachten Erziehungs- und Bildungsreform sowie
Wertediskussion. Es bleibt nur die Hoffnung, dass die
Entscheidungsträger nun endlich den Ernst der Lage
erkannt haben und ihr Bestes geben, damit das
geografische Zentrum Europas wieder zweifelsfrei - neben
anderen Staaten - ein "Land der Dichter, Denker und
Humanisten" genannt werden kann.
Unterwegs zum ewigen Frieden, zur ewigen Liebe und zur ewigen Vernunft: Förderung von Wissenstiefe, komplexem Denken, humanitären und moralisch positiven Werten, angemessener Altrozentriertheit und Toleranz, Verantwortlichkeit und Bildungsauthentizität gegen Ignoranz, Dünkel, Langeweile, Heuchelei, Manipulationsanfälligkeit, Indifferenz, Neid, Profanität, Unzuverlässigkeit, Korruption, Nepotismus, Profitgier, Geiz, Materialismus, Gewalt und Unmenschlichkeit. Das ist der Sinn dieses elektronischen Mahnmales. ------------------------------ Epilog:
Es besteht kein Zweifel, dass konkretes Erleben dieser bzw. mittelbares Wissen von diesen Handlungen bei sensiblen Menschen schwerstes seelisches Leid auslöst. Die dadurch provozierte schwere Existenzkrise - ein den Lebenswillen lähmendes, gräßliches Gemisch aus Angst, Hoffnungslosigkeit, Aggression, Verzweiflung und Hilflosigkeit - wird maximal, wenn die Handelnden, von denen man sich bis zuletzt vergeblich ein solidarisches Miteinander erhoffte, einem sehr nahe gestanden hatten. Eine von mehreren Möglichkeiten, die verbleibende Lebensqualität solcher vielfach traumatisierter Menschen zu bessern, besteht in der Verinnerlichung eines Leitspruchs des Athener Philosophen Sokrates (470-399 v. Chr.): "Wieviel leichter ist es, unter denen zu sein, die Unrecht erleiden als unter denen, die Unrecht tun." Erstellt 10.05.2005. Letzter Nachtrag: 28.12.2007. © Dr. Hubert Engelbrecht, München |