Estergebirge
Blick über das
Eschenloher Moos (635m) und die verdeckte Loisachstörung
auf die NW-Steilflanke des Estergebirges. Im Bild von
links (SE-S):
Hohe Kiste (1922m) mit Kistenkar, Archtalkopf (1927m),
Krottenkopf (2085m), Rißkopf (2046m), Hoher Fricken
(1940m).
Blick vom Aussichtspunkt
(1140m) am Aufstieg zur Mittenwalder Hütte über Hohen
Kranzberg und Buckelwiesen auf die Südflanke des
Estergebirges. Im Bild
von links (NW-N). Berg Wank (1780m), Talung Esterbergalm
(1264m), Hoher Fricken (1940m), Bischof (2033m), Rißkopf
(2046m), Krottenkopf (2085m),
Klaffen (1829m), Wallgauer Eck (1769m), Simetsberg
(1840m).
Geotopbereiche
Berg
Wank, Gschwand
|
Hoher
Fricken, Bischof, Krottenkopf
|
Kuhfluchtgraben
|
Esterberg
|
Wildsee,
Angerlboden, Michelfeld
|
Simetsberg
|
Asamklamm,
Eschenlainetal
|
Hohe Kiste,
Teufelskapelle, Eschenlohe
|
Finzbachtal,
Wallgau, Krün
|
Kankertal, Kaltenbrunn |
Gerold, Barmsee |
|
Geografische Position
Das Gebirge ist eingegrenzt vom Loisachtal im Westen, dem
Kankertal im Süden, dem Oberen Isar- und Obernachtal im
Osten sowie dem Eschenlainetal im Norden.
Alter des Geotops Verformung
(Überschiebung, Faltung, Scherung, Zerblockung),
Heraushebung und beginnende Verkarstung im Tertiär;
seitdem mehrfache glaziale Überprägung und weitere
Verkarstung.
Formationen und weitere
geologische Bildungen Partnachschichten, Raibler
Schichten, Hauptdolomit, Plattenkalk, Kössener
Schichten; Karsthöhlen, Dolinen, Buckelfluren; glazigene
Bildungen: Moränen, Seekreiden, Findlinge, Seen;
Terrassenschotter, Felssturzmassen, Hangschutt, fluviatil
umgelagerter rezenter Schutt.
Kriterien Eigenart,
wissenschaftlicher Wert, Ästhetik.
Schlagworte Geomorphologie,
Karbonatplattform, Intraplattformbecken, stratigraphische
Wende, Tektonik, Karsthöhlen, Altflächen, glaziale
Überprägung.
Geologische Situation
Folgende Formationen bauen das Estergebirge auf (vom
stratigraphisch Liegenden zum Hangenden):
Die Partnachschichten (Ladin) bestehen aus einer
Wechselfolge von Ton- und Mergelstein- sowie mergeligen
Kalksteinschichten. Sie entstanden in einem
Intraplattformbecken: ein von Riff- und
Lagunenablagerungen (Wettersteinkalk) gesäumtes
Meeresbecken, genannt Partnachbecken.
Das Reingrabener-Ereignis (globale Erwärmung durch
Vulkanismus) zu Beginn des Karn führe zu Anoxia und
biotischen Krisen durch Eutrophisierung der
Meereswässer, zu Regression und infolgedessen zu
Verkarstung der Karbonatplattform und dem Ende des
Wachstums des Wetterstein-Riffs. Über den
Partnachschichten kamen geringmächtige Bildungen wie das
Ferchenbach-Member und die Reingrabener Schwarzschiefer
zur Ablagerung.
Bei nunmehr steigendem Meeresspiegel transgredierten
darauf die Raibler Schichten (Karn); sie werden in drei
Member unterteilt: zuunterst terrigene Lagen, deren
partikuläre Bestandteile fluviatil via vorrückendes
Delta über den Schelf hinaus in das Partnachbecken
eingetragen wurden: Ton-, Silt- und Sandsteine, die
selten Pflanzenfragmente enthalten. Darauf lagerte sich
eine Wechselfolge von Kalk-, Dolomit-, Mergel-, Sand- und
Tonsteinschichten ab. Kaum geschichtete, auch massige,
unsortierte, zelluläre Rauhwacken-Brekzien mit
Komponenten vorwiegend aus Dolomit- und Kalkstein
schließen diese Formation nach oben hin ab. Die Brekzien
sind nach Ablagerung der Schichten, aus denen die
Brekzienkomponenten stammen, wahrscheinlich auf folgende
Art entstanden: Bei Kontakt mit zirkulierenden Fluiden,
Formations- und Grundwässern wurden die mit Kalk- und
Dolomitsteinschichten wechsellagernden Anhydrit- und
Gipsschichten subrosiv gelöst, weshalb durch das
erzeugte Materialdefizit schwerkraftbedingt der
ursprünglich schichtige Aufbau instabil wurde,
kollabierte und die Fragmente sich zu einem
Brekziengefüge verfestigten. In wenigen Fällen sind
genannte Evaporite erhalten geblieben. Die Mächtigkeit
der Raibl-Formation wird auf max. 550m geschätzt.
Hangend folgt die Hauptdolomit-Formation (Nor). Sie
besteht aus gut geschichteten, oft tektonisch
brekziierten, sehr selten fossilführenden, cm- bis
m-mächtigen, manchmal bituminösen, mergeligen
Dolomitsteinschichten mit gelegentlich oolithischen,
onkolithischen, stromatolithischen Gefügen, Loferiten
(zyklisch geschichteten Abfolgen) und Bereichen mit
Resedimenten. Selten sind unbeständige, bitumenhaltige
Mergelsteinlagen ("Ölschiefer") entwickelt.
Zur Hangendgrenze werden Kalksteinzwischenlagen
häufiger. Die Mächtigkeit der Hauptdolomit-Formation
wird auf max. 1500m geschätzt. Sie wurde im Litoral und
Flachmeerbereich (e. g. Sabkhas, Watt, Gezeitenseen,
Lagunen, Rückriffbereiche der
Dachstein-Karbonatplattform) abgelagert. Dolomitisierung
großer Teile dieser Formation erfolgte während der
Verfestigung der Schichten; Voraussetzungen hierfür
waren v. a.: ein tropisch arider bis semiarider
Ablagerungsraum; anaerobes, basisches Milieu und
Anwesenheit von organischem Material im Sediment; mehr Mg2+
als Ca2+ in den Porenwässern im Sediment;
Infiltration von Brackwasser in die Porenräume der
Ablagerungen nach vorangegangener Mischung von Meerwasser
mit Süßwasser.
Die Hangendgrenze der Hauptdolomit-Formation (oberes Nor)
verläuft unscharf: Eine Übergangszone, bestehend aus
einer Kalkstein-Dolomitstein Wechselfolge, bildet die
Grenze zur Plattenkalk-Formation; in Grenznähe sind
lokal Hornsteinlagen entwickelt. Die meist eben
geschichteten, cm- bis 2m mächtigen, schwach mergeligen
Kalksteine wechsellagern mit dünnbankigen Mergelsteinen,
die zur Hangendgrenze häufiger und mächtiger werden.
Oszillationsrippelmarken auf Schichtoberflächen sind
selten. Die Formation ist ähnlich dem Hauptdolomit im
Flachmeerbereich abgelagert worden; ihre Mächtigkeit
wird auf 200m, stellenweise 400m geschätzt.
Die Formationsgrenze zu den darüber lagernden Kössener
Schichten (westliches Eiberg Member) (Rhät) ist
ebenfalls unscharf und durch einen Übergang in
dunkelgraue bis schwarze, manchmal bituminöse Ton- und
Mergelsteine gekennzeichnet. Mit ihnen beginnt eine
ähnliche, wegen Meeresspiegelanstieg aber etwas tiefere
Intraplattform-Beckenentwicklung wie im Ladin. In dem
mäßig tiefen, schlecht durchlüfteten Ablagerungsraum
setzten sich zudem spätige, fossilführende, mergelige,
sowohl knollige als auch plattige Kalksteinschichten und
Fossilschuttkalksteine (Lumachellen) ab.
Jüngere Formationen blieben im Estergebirge nicht
erhalten.
Im gesamten Schichtstapel sind zwei
stratigraphische Wenden dokumentiert, mit denen
längerfristige Veränderungen im überregionalen
Ablagerungsgeschehen (e. g. Modifizierung des
Sedimentationsraumes; des Klimas) einsetzten: - Die
Reingrabener Wende (Karnzeitliche Krise), in deren
Gefolge die Wetterstein-Karbonatplattform zunächst
verkarstete und anschließend von terrigenen Klastika
verdeckt wurde; - Die erste Phase der Adneter Wende im
obersten Nor, auf Grund der die
Hauptdolomit-Plattenkalk-Karbonatplattform von den
Klastika der tiefer marinen Kössener Schichten
überlagert wurde.
Das Estergebirge ist bekannt wegen seiner
Karsthöhlensysteme. Sie entstanden, als die
Gesteinsmassen im späten Oligozän - Miozän tektonisch
über Meeresniveau gehoben wurden, die dabei entstandenen
Landoberflächen atmosphärischer Verwitterung
(kohlensaurem Regen) und Bioerosion (Huminsäuren in
Sickerwässern) exponiert waren und seitdem zu verkarsten
begannen. Die räumlichen Anlagen der in Entstehung
begriffenen Höhlensysteme und Karstformen waren
beeinflusst vom vorgegebenen Streichen der Schichtung,
von den Kluftrichtungen und v. a. von felsmechanischen
Schwächezonen an tektonischen Brüchen (s. u.). Absolute
Altersbestimmungen an Sedimenten in Höhlen und unter den
Peneplain-Relikten von Altflächen liegen noch nicht vor.
Das Fortschreiten von Verkarstung und Höhlenbildung war
mehrmals während quartärer Kaltzeiten unterbrochen; vor
ca. 20000 a (Hochglazial) war das Estergebirge bis
ca. 1600m Höhe vom Eis der würmzeitlichen Isar- und
Loisachgletscher verdeckt.
Eiszeitliche Bildungen (Moränen,
Seekreiden, Findlinge, Buckelfluren, Seebecken,
Rundhöcker, Trog- und Hängetäler, Drumlins, Tumuli,
Kame) und holozäne Sedimente (fluviatile Terrassen,
Talfüllungen, Schuttfächer, Muren, Hangschutt,
Felsstürze) schließen die Entwicklung ab.
Des Estergebirge ist Teil der Nördlichen
Kalkalpen, die sich aus einem Stapel tektonischer Decken
(Fernüberschiebungsmassen) des Oberostalpins aufbauen.
Diese Schubmassen entstanden, als nach einer
Divergenzphase (seit dem Oberperm) in der mittleren
Kreidezeit die kontinentalen Platten Europa und Gondwana
zu konvergieren begannen und die zwischen ihnen
abgelagerten Meeressedimente unter seitlichen Druck
gerieten, weshalb Teile dieser in Form von Schubmassen
auf die Kontinentalränder transportiert und dabei
deformiert wurden. Dieser Vorgang - Deckenschub,
-stapelung und -verformung - dauerte bis in die
Tertiärzeit: nach einigen Autoren bis in das Oligozän,
nach anderen hingegen bis ins Miozän.
Nach klassischer Auffassung aus den 80er Jahren besteht
der Deckenstapel, aus dem sich der westliche Teil der
Nördlichen Kalkalpen aufbaut, aus den Inntal-, Lechtal-
und Allgäudecken sowie den Randschuppen (vom tektonisch
Hangenden abwärts). Neuere Untersuchungen an ihrem
Bauplan und ihren Grenzen ergaben, dass die Inn- und
Lechtaldecken zur Karwendeldecke und die Allgäudecke
samt den Karwendelschuppen zur Tannheimer Decke
zusammenzufassen sind. Das Estergebirge, ehedem als Teil
der Lechtaldecke interpretiert, ist nun Bestandteil der
Karwendel-Decke.
Im Folgenden der übergeordnete
tektonische Bau des Estergebirges, bestehend aus
Großstrukturen im km-Maßstab: im Süden - Kankertal -
besteht die nördliche Flanke des Wamberger Sattels, die
überleitet in das stark nordvergente
Krottenkopfsynklinorium mit mittelsteil nach S geneigter
bc-Achsenfläche. Die b-Achse des Synklinoriums
kulminiert im zentralen Teil des Gebirges; östlich davon
fällt sie flach nach E Richtung Obernachtal, westlich
davon mittelsteil nach W Richtung Loisachtal. Nördlich
des Krottenkopfsynklinoriums schließt sich der flach
nach E abtauchende, schwach N-vergente Eschenlainesattel
an. Weil im Wamberger Sattelkern am Südrand des
Estergebirges ältere Formationen zutage treten als im
Eschenlainesattel am Nordrand, fällte der Faltenspiegel
des Estergebirges nach N. Die Faltenstrukturen wurden von
einem jüngeren System steilstehender Blattverschiebungen
zerlegt: sie entstanden bei N-S gerichteter Einengung
durch Bildung zweier konjugierter Bruchrichtungen: die
dextrale, NW-SE gerichtete Ammer- und die sinistrale,
NE-SW-orientierte Loisachrichtung; an ihnen entstanden im
Estergebirge horizontale Versatzbeträge bis max. 600m.
Die Loisachstörung im W und die parallel dazu
orientierte Kesselbergstörung im E bilden markante
tektonisch-morphologische Begrenzungen des Estergebirges
zum Loisach- bzw. Obernachtal. Felspartien im
Kuhfluchtgraben nahe dem Loisachlineament sind von einem
Begleitstörungssystem intensiv zerrüttet: es finden
dort rezent Hangbewegungen bis zu 15 cm/a statt; das
labile Terrain, im Georisk-Plan des BGLA markiert, ist
gekennzeichnet von Rutschungen, Zugrissen, Felsstürzen,
Bergzerreißungen und Anbruchnischen. Die summierten
Volumina aller potentiellen Felsgleitmassen betragen nach
Angaben des Verbands der dt. Höhlen- und Karstforscher
e. V. München ca. 610000 m³.
Das Estergebirge ist von Reliefumkehr
gekennzeichnet: in seinen topographisch höchsten
Bereichen liegen die tiefsten Teile der Krottenkopfmulde
und somit die jüngsten Formationen (Kössener Schichten,
Plattenkalk) vor; und bei den topographisch tiefsten
Bereichen (Eschenlaine- und Kankertal) befinden sich die
tiefsten Teile der sie aufbauenden tektonischen Sättel
und somit die ältesten Formationen (Partnach- und
Raiblerschichten, Hauptdolomit) des Estergebirges.
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