Der Eibsee-Bergsturz auf der Nordseite der Zugspitze

Bild links: Blick vom Zugspitzhaus nach Norden 2000 Höhenmeter hinab auf das waldbestandene Bergsturz-Ablagerungsareal (weiß umrandet). Das Bergsturz-Ereignis modifizierte Uferlinien und Volumen des Eibsees (Entfernung Luftlinie ca. 4,2km) in seinem östlichen und mittleren Teil (siehe Text). Die Pfeile zeigen den möglichen Verlauf zweier Sturzbahnen der Felsmassen; der rechte wird an einem Felsmassiv-Querriegel nach Osten abgelenkt. Bild rechts: Blick von der Zugspitz-Talstation hinauf zur Große Riffelwandspitze 2631m (links) und zur Zugspitze 2962,06m. Die morphologische Einsenkung/Hohlform zwischen beiden Bergen entspricht einer gewaltigen Nische, die bis hinab ins Bayerische Schneekar reicht. Diese großräumige Lücke blieb nach Abgang der Eibsee-Bergsturzmassen vor 3400-3700 Jahren zurück und macht den entstandenen Massendefizit an der sehr steilen Gebirgsflanke sichtbar. Die mutmaßlichen Ränder dieser Abrisszone sind weiß markiert.

Geotopbereiche

Schöngäng Steingringpriel
Braxeninsel Steinriglsee
Frillensee Sasseninsel
Untersee Maximiliansinsel
Braxensee Ludwigsinsel
Scheibeninsel Blockwald
Eibseestörung Hoher Seeberg

Geografische Position Nordwestlicher Rand des Wettersteingebirges

Alter des Geotops 3400-3700 Jahren (am Ende des Postglazialen Wärmeoptimums)

Geologische Bildungen Bergsturzmassen mit umgelagertem älteren Material: bestehend aus Hangschutt, Bergsturzmassen, Seetone und -kreiden des Eibseebeckens sowie quartäres Moränenmaterial

Kriterien wissenschaftlicher Wert, Ästhetik

Hyperlinks http://members.gaponline.de/doering/f_wasser/aa_frame_wasser.htm

Schlagworte Zwischenwarmzeit, natürliche Klimaschwankungen, tektonische Störung, Permafrost, Bergsturz, Massentransport, Tomahügellandschaft, See, Hydrotop, Geochronologie, Radiokarbonmethode, Georisiko

Geologische Situation Massentransportereignis (Bergsturz) am Ende des postglazialen Wärmeoptimums vor ca. 3400-3700 Jahren. Die Altersbestimmung erfolgte mittels der Radiokarbonmethode: die absoluten Alter der jüngsten, in den Kernen von Bohrungen im Bergsturzmaterial gefundenen Partikel von Pflanzenhäcksel gaben den Ausschlag. Das durch Schwerkraftwirkung umgelagerte Felsvolumen (ca. 300-400 Millionen m³) löste sich im Bereich einer tektonischen Störung zwischen den Felsmassiven der Zugspitze und der Großen Riffelwandspitze, wodurch eine große Nische/Felsenlücke zurückblieb, gebildet aus Zugspitz-Nordwand und Nordwestwand der Großen Riffelwandspitze, an deren Basis sich das Bayerische Schneekar befindet. Ursache des Ereignisses waren sehr wahrscheinlich regional erhöhte atmosphärische Durchschnittstemperaturen im Gefolge einer natürlichen Klimaerwärmung (postglaziales Wärmeoptimum), in deren Verlauf die Permafrostzone im Gebirgsfels schwand, Klufteis aufzutauen begann, felsbindende Eisbrücken ihre Wirksamkeit verloren, klüftige Felsmassen labil und sie schließlich schwerkraftgetrieben durch das Bergsturzereignis in eine stabilere Position umgelagert wurden. Die sehr steile Gebirgsflanke wurde dadurch teilweise entlastet. Das in Bewegung geratene Material bestand in der unmittelbaren Frühphase des Bergsturzereignisses aus Komponenten der Formationen Reiflinger Bankkalk - Kössener Schichten sowie älterem Felssturz- und Hangschuttmaterial. Da die Bergsturzbahn den östlichen und mittleren Teil des Eibsees querte - nur der westliche blieb unversehrt -, erfolgten dort wesentliche Modifizierungen betreffend die Zusammensetzung des Bergsturzmaterials und der morphologischen Form der Eibseesenke, die an einer vom Loisachgletscher ausgeräumten tektonischen Störung schon angelegt war (Anzeichen für die Eibsee-Störung findet man in zahlreichen Harnischflächen im Plattenkalk am NW-Ufer). Der in den See stürzende und ihn durchflutende Felsblockstrom schob eine viele Meter hohe Flutwelle vor sich her, inkorporierte Wasser sowie aus dem Senkenboden gerissene, unverfestigte (plastische) Seetone, -kreiden und weitere glazigene Ablagerungen, welche die Dichte und innere Reibung (Zähigkeit) von Partien des Massenstroms herabsetzten. Vermutlich wurde bei diesem Großereignis ein Hauptteil des Eibseewassers vorübergehend aus seinem Becken gedrängt. Ein kleiner Teil der Felssturzmassen kam schon in der Eibseesenke zur Ablagerung: eine unruhige und komplex gebaute Morphologie mit 29 Senken entstand. Ein anderer Teil der Felssturzmassen hatte ausreichend Bewegungsenergie, um - im Gefolge der an das Nordufer auflaufenden Flutwelle - den Gegenhang am Hohen Seeberg hinaufzurollen: auf 1260m lagern dort Kubikmeter große Wettersteinkalk-Blöcke auf einem Untergrund aus Plattenkalk und Hauptdolomit (eigene Beobachtungen). Der Hauptteil der Bergsturzmassen überrollte das nördlich des Eibsees quer verlaufende Hauptdolomit-Massiv (Zirmaskopf-Höhenrain) und stürzte ins Obere Loisachtal hinab oder wurde vom selben Hauptdolomit-Massiv nach ENE abgelenkt und glitt wegen reduzierter Viskosität wesentlich weiter hangab (ca. 9 km), als aus der mittleren Sturzhöhe (1760-2260m) zu erwarten gewesen wäre. Bei Untergrainau erreichen die Bergsturzmassen noch eine - mit Georadar ermittelte - Mächtigkeit von 65-70m. Am Nord- und Nordostufer des Eibsees, wo wegen der unmittelbar nördlich befindlichen Widerlagermassive "Hoher Seeberg" und "Zirmaskopf" der Bergsturzstrom seitliche Einengung und frontale Stauchung erfuhr, erzeugten die in den Massenstrom übertragenen Kräfte eine markante, in Nordwest-Südost-Richtung gelängte Tomahügel- und Senkenkette. Nach Abschluß des Umlagerungsvorganges, der vermutlich nicht länger als fünf Minuten gedauert haben dürfte, überdeckt eine Felswüste aus Blockmassen eine vormals bewaldete Fläche von ca. 13km². Eventuell vorhanden gewesene kupferzeitliche Uferrandsiedlungen am Eibsee sind mit Sicherheit allesamt zerstört worden. Allmählich füllte sich der neue Eibsee (ca. 2km² Fläche) wieder auf. Nach Abschluß der natürlichen Flutung lag der mittlere Wasserspiegel höher, weil der östliche Ablauf durch die Bergsturzmassen blockiert war. Seither ragen acht Tomahügel als Felsblock-Inseln aus dem See, und mehrere Untiefen erreichen knapp die Höhe des mittleren Wasserspiegels. Das ist einer der ganz seltenen Fälle, in denen Inseln und Untiefen eines Sees geologisch wesentlich jünger sind als das Seebecken selbst. Es dauerte viele Jahrzehnte, bis die den neuen Eibsee umgebende Felsblockwüste wieder von Waldvegetation besiedelt war. Die ufernahen Senken zwischen den Tomahügeln bilden schmale, fast abgeschnürte Buchten (Untersee mit 4,8 ha, Steingring mit 1,4 ha) am Eibseeufer; in anderen Senken befinden sich Teiche (z. B. Braxensee mit 0,24 ha, Steingringpriel, Steinsee, Steinriglsee, Frillensee).

Das Komponentengrößenspektrum der Eibsee-Bergsturzablagerung reicht von mehreren Hundert Kubikmeter messenden Blöcken (z. B. der "Frosch" östlich des Herrgottsschrofen) bis hinab in den Sand-Schluffbereich. Unsortiert und chaotisch verstreute Blöcke im mehrere dm- bis viele m-Bereich sind weit verbreitet. Ganz anders ist die Situation an der Uferpartie "Schöngäng" 900m WSW des Hotels: dort befindet sich eine metergenau abgrenzbare Felssturz-Einheit, in der die Komponentenfraktion meist unter 10cm liegt und eine wesentlich bessere Sortierung erkennbar ist. Möglicherweise hat beim Eibsee-Bergsturzereignis besonders hohe mechanische Energie einen Teil des Felssturzmaterials in cm-kleine Fragmente zerlegt, bevor es zur Ablagerung kam.

Die beim Eibsee-Bergsturzereignis entstandenen Wärmemengen und Druckwellen reichten aus, um durch Metamorphose Mineralneubildungen in den Bergsturzmassen zu erzeugen. Interessant wäre es, sie aufzufinden und zu analysieren, auch wenn dies durch die vorwiegende Karbonatmineralogie erschwert sein mag. Vielleicht können dann die beim Bergsturz erzeugten Temperaturen und Druckereignisse im Massenstrom besser ermittelt werden.

Möglich ist auch, dass durch die mechanischen Stöße während des Bergsturzereignisses Erdbebenwellen entstanden, die im umgebenden Terrain sekundäre, subaerische und lakustrine Massenumlagerungen aller Art erzeugten: e. g. Felsstürze, Murgänge, Bodenfließen; sowie Turbiditströme, grain flows, debris flows und slumps in Seesedimenten. Klimatisch oder jahreszeitlich bedingt könnten auch Eis- oder Schneelawinen abgegangen sein.

Die geschätzte Energiefreisetzung beim Eibsee-Bergsturzereignis (angenommene Gegebenheiten: 350 Millionen Kubikmeter Fels mit einer Masse von 9,1 × 1011 kg; gemittelte Sturzhöhe 1400m) beläuft sich auf 1,2 × 1016 Joule, entsprechend ca. 2,9 Megatonnen TNT (ca. 220 Hiroschima-Bomben oder 85% der Sprengkraft der Wasserstoffbombe "Cherokee" (3,4 MT)), gezündet am 16.05.1956 auf dem Bikini-Atoll). Die Energiefreisetzung beim Ries-Impakt vor 13,4 Millionen Jahren lag mit min. 2 × 1019 Joule tausend mal höher als beim Eibsee-Bergsturz.

Naturkatastrophen prägen sich dem kollektiven Gedächtnis der Menschheit ein; in der Regel werden Ereignisse dieser Größenordnung überliefert. Die Frage sei hier gestellt, ob in der Literatur, in Sagen, Liedern oder Mythen ein Nachhall vom "Donnerschlag vom Eibsee" identifiziert werden kann.

Film-Idee (29.01.2023): Aufgrund eigener Erfahrung wage ich zu behaupten, dass mir die Intensität dieses Eibsee-Elementarereignisses ansatzweise begreifbar sein könnte; dies ermöglichte das Erleben eines Felssturzes ca. 1968 an der Großen Zinne in Südtirol während einer Sommerwanderung: ein anschwellendes, rasch lauter und höher werdendes Pfeifgeräusch - ähnlich dem Lärm eines startenden Jets - begann die angenehme Bergesruhe auf dem breiten Plateau vor den Drei Zinnen zu stören. Es endete abrupt mit einem gewaltigen Donnerschlag. Erschrockenen Blickes sah ich, wie sich anschließend das untere Viertel der Felswand in Staub hüllte. Erst dann begann ich zu verstehen, dass mehrere große Felsstücke aus den oberen Partien der überhängenden Wand sich gelöst haben und in freiem Fall in das Kar darunter gestürzt sind. Ich erinnere noch mehrere Personen, die von der Berghütte dorthin eilten und besorgt nach ihren Kletterkameraden in der Felswand riefen.
Obwohl die Felssturzmassen bestenfalls 1000 m³ betragen haben dürften, war für mich das erlebte Ereignis an den Drei Zinnen überwältigend. Das Eibsee-Bergsturzereignis aber, von dem es freilich weder Fotodokumente noch lebende Augenzeugen, sondern nur mehr seine geologischen Spuren gibt, übertraf den Felssturz an den Drei Zinnen um 5 Größenordnungen. Um aber die Naturgewalt eines solchen elementaren Ereignisses verständlicher und den Begriff Georisiko begreifbarer zu machen, meine ich, dass man den Eibsee-Bergsturz an Hand seiner geologischen Daten filmisch aufbereiten und in Szene setzen sollte. Dabei sollte sich der Regisseur von Wissenschaftlern beraten lassen. Ein Mix aus "Abenteuer", Katastrophe, und interessant gebrachter, verständlicher Wissenschaft wäre das Ergebnis. Die erste Filmsequenz könnte einen Typen wie Ötzi bei der Jagd am nahen Thörlen zeigen, wie er bedauernswerter Weise sein Zuhause und all seine Leute verliert: denn er wird Augenzeuge, wie die Sturzmassen hoch oben in den Felsen donnernd losbrechen und in den Eibseekessel stürzen, die Ufersiedlung zermalmen, Flutwellen auslösen, die Felsmassen am Gegenhang anbranden, sich dort hinaufwälzen und dabei den Bergwald niederbrechen, bis schließlich die Szenerie von einer großen Staubwolke verdeckt wird. Daran kann sich der wissenschaftlich-naturkundliche Teil mit den Erklärungen, Analysen und Prognosen anschließen.

Sonstiges Da der Eibsee (973m mittlerer Wasserspiegel üNN) nur wenige und schwache oberirdische Zuläufe und Quellhorizonte am Westufer und seit dem Bergsturz keinen oberirdischen Ablauf mehr hat (Endsee), findet in seinem großen Volumen von ca. 21.610.000 m³ kaum Wasseraustausch und nur geringe Zirkulation statt. Der max. 35,4 m tiefe See mit einer Fläche von 177,4 ha ist deshalb ein empfindlicher Hydrotop, dessen Nutzung als Badesee umsichtig zu gestalten ist. Man vermutet, dass das knapp 2 km nordöstlich befindliche Quellgebiet des Kreppbaches (Lokalität Rohrlaine) von Eibseewässern unterirdisch gespeist wird.
Auf den acht Inseln des Eibsees, am Eibseeufer und im umgebenden Blockwaldgelände (z. B. "Steinrieglwald") wird ein kleiner Teil der Eibsee-Bergsturz-Blockmassen sichtbar.
Während des Pfingsthochwassers 1999 lag der temporäre Wasserspiegel des Eibsees vorübergehend mehrere Meter über dem durchschnittlichen Wert; siehe http://werdenfels.eu/f_wasser/eibseehochw.htm
Der Name Eibsee leitet sich vom ehemaligen dortigen Eibenbestand her; ein inzwischen geschützes Nadelgewächs, das früher den Eibsee reichlich säumte.
Ein gepflegter Wanderweg führt gemütlich in ca. drei Stunden um den gesamten See und ermöglicht besten Einblick in die komplexe und interessante geologische Situation:. In diesem Zusammenhang lohnt auch bei Grainau ein Besuch von Rosen- und Badersee: beides sind grundwassererfüllte Senken zwischen waldbestandenen Tomahügeln.

Literatur:

  • Doposcheg, J. (1938): Vom Eibsee zur Wiener-Neustätter Hütte. In: Berge und Pflanzen (Werden und Wachsen) in der Landschaft Werdenfels. Naturkundlicher Führer. Seiten 321-323. Adam-Verlag, Garmisch.
  • Dufresne, A.: Rock avalanche sedimentology.
  • Erismann, T. H. & Abele, G. (2001): Dynamics of rockslides and rockfalls.- 316 Seiten; Springer Verlag.
  • Jerz, H. & v. Poschinger, A. (1995): Neuere Ergebnisse zum Bergsturz Eibsee-Grainau.- Geologica Bavarica 99: 383-398, München.
  • Kramp, T. (2009): Massenbewegungen in den Alpen. Studienarbeit, 53 Seiten. GRIN-Verlag.
  • Vidal, H. (1953): Neue Ergebnisse zur Stratigraphie und Tektonik des nordwestlichen Wettersteingebirges und sseines nördlichen Vorlandes.- Geologica Bavarica 17: 56-88, München.
  • Von Barth, H. (1874): Der Waxenstein: aus dem Höllenthale an den Eibsee. In: V: Aus dem Wettersteingebirge. In: Aus den Nördlichen Kalkalpen. Ersteigungen und Erlebnisse. Seiten 548-566. Bavarica Reprint 1984, Süddeutscher Verlag.
  • Zangerl, C., Brandner, R., Patzelt, G., Prager, C. (2007): Chapter 4. Increased rockslide activity in the middle Holocene? New evidence from the Tyrolean Alps (Austria).- In: Landslides and Climate Change: Challenges and Solutions Proceedings of the International Conference on Landslides and Climate Change, Ventnor, Isle of Wight, UK, 21–24 May 2007 Edited by E. Mathie, R. McInnes, H. Fairbank and J. Jakeways. Taylor & Francis. DOI: http://dx.doi.org/10.1201/NOE0415443180.ch4

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© Bilder und Text: Dr. Hubert Engelbrecht, Geologe