Nördlicher Schneeferner

Der Nördliche Schneeferner am Nordwestrand des Zugspitzplatts. Er ist teilweise mit einer Kunststoffschutzhülle abgedeckt. Links oben der Schneefernerkopf (2874 m), zweithöchster Gipfel im Wettersteingebirge. Aufnahmedatum: 18.07.2006. © Bild: Dr. Hubert Engelbrecht, Geologe.

 
 

Geografische Position
Westliches Wettersteingebirge

Alter des Glaziotops
Quartär(?) bis rezent

 
 

Kriterien
Seltenheit, wissenschaftlicher Wert, Vegänglichkeit, Empfindlichkeit, Schutzbedürftigkeit

Ablagerungen
Eis, Firn, Schnee, Flugstaub, Aerosole

Hyperlinks:

 

Schlagworte: Gletschereis, Klimaindikator, Klimaarchiv, Klimawandel, technischer Gletscherschutz, Glaziotop, Geotopschutz.

Die Abbildung zeigt den Nördlichen Schneeferner, derzeit größter Gletscher der BRD. Die links über seinem Firnfeld befindliche Nordostflanke des Schneefernerkopfes gewährt dem Glaziotop eine geringfügige Schattenlage. Es wird durch Schneefall und Lawinenschnee genährt; letzterer stammt von den Flanken des Schneefernerkopfes und des westlich gelegenen Zugspitzecks (2781 m).

Während des Neuzeitlichen Hochstandes (1780 - 1820) bestand auf dem Zugspitzplatt ein großer, hufeisenförmiger Gletscher, der Plattacher Ferner mit ca. 308 Hektar Fläche Hirtlreiter 1992: 52-71). Nach zahlreichen historischen Berichten, Skizzen und Karten (z. B. von Barth 1874: 533 mit Vertikalprofil 24 der Kunstbeilage) war es ein aktiver, in Bewegung befindlicher Gletscher mit Randklüften, Spalten und drei Zungen. Aus den Gletschertoren floss Schmelzwasser - die Ursprünge der Partnach - , das in Kaskaden u. a. über das in der Steilstufe eingekerbte Brunntal hinabstürzte in einen Karsee im Hinteren Reintal. Es fiel damals - ca. 1840 - wegen der viel größeren Gletscherfläche mehr Schmelzwasser an, als der noch teilweise durch Permafrosteis plombierte Karstgrundwasserleiter aufnehmen konnte. Nach einem weiteren Gletschervorstoß 1855 begann der Plattacher Ferner zurückzuschmelzen. Die Trennung in Nördlichen und Südlichen Schneeferner erfolgte zwischen 1890 - 1900. Beide Firnfelder entwässerten damals immer noch zusätzlich oberirdisch.
So ist es durchaus möglich, dass König Ludwig II, der seinen Geburtstag Ende August oft in seinem nach Art eines "Schweizerhauses" erbauten Refugium auf der Schachenalpe feierte, in den Jahren zwischen 1872 und 1883 vom 650m steil über dem Reintal gelegenen Schachenpavillon (1866 m) - der dortigen Bellavista - aus bei guter Sicht die ca. 7,5 km weiter talauf gelegenen Schmelzwasser- Kaskaden unter dem südlichen Plattacher Gletschertor bestaunen konnte.
Die starke Schwundphase zwischen 1920 - 1950 bedeutete für den Südlichen Schneeferner mangels Schattenlage großen Flächenverlust und für den Nördlichen die Abspaltung des Östlichen Schneeferners. In den Phasen zwischen 1964 - 1968 und 1973 - 1980 erfolgten geringfügige Massenzugewinne. Ab 1980 sanken wegen immer ungünstiger werdenden Massenbilanzen die Höhen der Firnoberflächen der Schneeferner weiter ein, wodurch Felspartien ausaperten. Im Juli 2003 - ein Monat mit Hitzerekord - flossen nach Daten des Münchner Umweltministeriums aus dem Nördlichen Schneeferner täglich rund 35 Millionen Liter Schmelzwasser ("Gletscherrauschen"); das ist etwa ein Zehntel der Menge des täglichen Trinkwasserbedarfs der Großstadt München (Weber 2003). Bis 2007 hat sich wegen fortschreitender Klimaerwärmung die Fläche des Nördlichen Schneeferners auf rund 30 Hektar reduziert; die Gesamtfläche aller Schneeferner auf dem Zugspitzplatt wird derzeit (2007) auf 40 Hektar geschätzt.
Der drei Absätze weiter oben genannte Karsee - er lag dort, wo sich heute der "Golfplatz" am Oberen Anger befindet - wurde durch partikulären Eintrag (eingeschwemmter Hangschutt- und Moränenmaterial, Seekreiden, etc.) allmählich verfüllt und ist seitdem fossil.

An der von einer das Sonnenlicht reflektierenden weißen Schutzhülle (6000 m² Polypropylen-Vlies) verdeckten Fläche am oberen Rand des Nördlichen Schneeferners (siehe Abbildung) kann gemessen werden, inwieweit sich der wegen zu hohen Temperaturen und zu geringer Schneedeposition fortschreitende Massenschwund verzögern läßt. Es wird aber geschätzt, dass auf diese Art nur ca. 1% des zu erwartenden Verlustes ausgeglichen werden kann (http://www.zugspitze.de/news/Gletscherabdeckung.php; Information der Kommission für Glaziologie zur Gletscherabdeckung 2007: http://www.lrz-muenchen.de/~a2901ad/webserver/webdata/download/Info040507.pdf).

Die Bedeutung des Glaziotops Nördlicher Schneeferner liegt in den Kriterien Seltenheit, wissenschaftlicher Wert, Vergänglichkeit, Empfindlichkeit und Schutzbedürftigkeit. Sein aktueller wissenschaftlicher Wert als Klimaindikator ist seit seiner wirtschaftlichen Nutzung als Skipiste und wegen des "snow farming" eingeschränkt: hierbei werden im Winter und Frühjahr große Schneemengen in umliegenden Bereichen geerntet und auf den Nördlichen Schneeferner verbracht, um dort die Skisaison zu verlängern und die Lebensdauer des Ferners zu erhöhen (technischer Gletscherschutz). Die Realisierung des langzeitlichen Glazio- bzw. Geotopschutzes an diesem Objekt wird als problematisch eingeschätzt.

Der Nördliche Schneeferner in Zahlen: Fläche: 30 Hektar (Stand 2007); Höhenlage: 2810-2560 m, Durchschnitt 2640 m (Stand 1999); Durchschnittliche Eisdicke: 16,8 m (Stand November 2006); Maximale Eisdicke: 52 m (Stand November 2006); Volumen: 5,16 Millionen m³ (Stand November 2006); Maximale Länge: 850 m; Durchschnittliche Neigung: 14°; Fortbewegungsgeschwindigkeit des Eises in mittleren Lagen: ca. 25-30 cm pro Jahr. (http://de.wikipedia.org/wiki/Schneeferner; http://www.bayerische-gletscher.de).

Notabene:
Gletscher sind als Senken (passive sampler) gut geeignet als Klimaarchive der jüngsten Tertiärzeit und des Quartär: aus den im Eis fixierten Gasblasen, den Sauerstoffisotopen von Wassermolekülen, dem äolischen Staub und anderen Spurenstoffen können klima- und umweltrelevante Informationen abgeleitet werden: Wissenschaftler sammeln Eisbohrkerne von den weltweit schmelzenden Gletschern und Inlandeisflächen und lagern die Proben in Kühlhäusern, um aus den Eisschichten das erdgeschichtlich jüngste Klimageschehen, z. T. jahreszeitlich aufgelöst, zu rekonstruieren; siehe z. B. http://www.climatechange.umaine.edu/Research/projects/ICARA.html. Bis Ende 2007 erstellte die Kommission für Glaziologie der Bayerischen Akademie der Wissenschaften zusammen mit der Fakultät für Geographie der LMU München eine geodätische und glaziologische Datenbank betreffend alle fünf noch vorhandenen Bayerischen Gletscher (http://www.bayerische-gletscher.de).

Zitierte Literatur:
Hirtlreiter, G. (1992): Spät- und postglaziale Gletscherschwankungen im Wettersteingebirge und seiner Umgebung.- Münchner Geographische Abhandlungen, Reihe B, Band B15, 153 Seiten; Geobuch-Verlag München.
Von Barth, H. (1874): Ein Tag auf dem Plattacher Ferner. In: V. Aus dem Wetterstein-Gebirge. In: Aus den Nördlichen Kalkalpen. Ersteigungen und Erlebnisse in den Gebirgen Berchtesgadens, des Algäu, des Innthales, Isar-Quellengebietes und des Wetterstein. Seiten 517-547. Gera, Eduard Amthor. Bavarica Reprint im Süddeutschen Verlag München, 1984.
Weber, M. (2003): Gletscherschwund und Klimawandel an der Zugspitze und am Vernagtferner (Ötztaler Alpen).- Informationsblatt der Kommission für Glaziologie der Bayerischen Akademie der Wissenschaften; 10 Seiten. Web:
http://www.lrz-muenchen.de/~a2901ad/webserver/webdata/download/InfoGletscher.pdf. Siehe auch: http://www.Glaziologie.de/.

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Site erstellt: 19. 02.2008. letzte Änderung 27.05.2009
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Dr. Hubert Engelbrecht, Geologe.