Gedanken zur geologischen Landesaufnahme
Geologische Forschung beginnt immer im Gelände: Eine
möglichst exakte und objektive Registrierung der räumlichen
Verteilung geologischer Formationen und Strukturierungen sowie
ihre Darstellung in der Karte und im Profil ist die Basis allen
geologischen und geotechnischen Arbeitens. Auf ihre Qualität
verlassen sich darauf aufbauende geologische Forschungen sowie
geotechnische und bergbauliche Projekte.
Jede geologische Landesaufnahme ist eine sehr mühsame
Angelegenheit, die den Akteur bis an die Grenzen seiner
körperlich-geistigen Kräfte, Geduld und Ausdauer belasten kann.
Aber dafür wird diese Tätigkeit stets mit einem tieferen
Verständnis der ursächlichen Zusammenhänge zwischen den
morphologischen Formen der Erdoberfläche und den darunter
befindlichen geologischen Strukturen belohnt. Das ist für jeden
Geologen ein sehr wertvolles Geschenk, das er sich aber auf
seinem weiten Weg zur Terra cognita hart erarbeiten muß.
Gleichwie, ob es sich um das Entschlüsseln
lithostratigraphischer Abfolgen, metamorpher Zonierungen oder
tektonischer Inventare handelt: Kartieren ist vergleichbar mit
dem bedächtigen Heben eines unterirdischen Schatzes oder dem
vorsichtigen Öffnen eines steinernen Archivs: immer neue,
ästhetische Formen, Muster und Strukturen - oft und in sehr
verschiedenen Hierarchien zyklisch organisiert - erschließen
sich dem Intellekt des Menschen.
Romantiker würden sagen: Versteinerte Sinfonien werden aus ihrem
'ewigen Verlies' befreit.
Bei jeder Neukartierung oder neuen thematischen Kartierung, aber
auch bei dringend notwendig gewordenen Revisionen, schreitet man
über weites, unbekanntes geologisches Terrain. Die
'weisse Karte' mit korrekter Information zu füllen
erfordert viel Mut, Sorgfalt und Pioniergeist; diese Situation
brachte ein bekannter Alpinist und Erstbegeher mit den Worten Gehe
immer neue Wege! auf den Punkt. Verallgemeinert gilt in
unserer Informationsgesellschaft dieser Ansporn zum unentwegt
neuen Experimentieren mehr denn je: nur so können neue
Wissensresourcen entdeckt und geschöpft, Wissensvorsprünge
gesichert und Kompetenzen erworben werden. Es versteht sich von
selbst, dass es oft ungeheurer Anstrengung und Zähigkeit bedarf,
nach Verlassen alter Trampelpfade den neu eingeschlagenen Weg bis
zum Ziel zu verfolgen; gerade dann, wenn sich herausstellt, dass
das Ziel jenseits eines Ozeans an Arbeit liegt.
Der Kartierfortschritt wird durch geogene und anthropogene
Faktoren bestimmt:
Punkt 3 ist der in Zeitplänen am schlechtesten kalkulierbare
Parameter, denn oft ist keine oder kaum verlässliche Information
zu seiner Abschätzung vorab erreichbar.
Die klassische geologische Landesaufnahme bedarf eines nur sehr
geringen Aufwandes an technischen Hilfsmitteln: Feldbuch,
Bleistift, topographische Karte, Geologenhammer, Schutzbrille,
Rucksack, Marker, Gefügekompass, Lupe, Pedometer, Höhenmesser
und ein gutes Paar Bergschuhe.
Der Aufwand an technischen Hilfsmitteln für die moderne Variante
der geologischen Landesaufnahme ist höher (GPS-Empfänger,
Laptop, Stromversorgung, etc.).
Die Bedeutung der geologischen Landesaufnahme für die Erdbebenvorhersage
Nach der elastic-rebound-theory (Reid 1910) ist die
Freisetzung elastischer Energien aus aufgestauter Scherspannung
bei rascher bruchhafter Verformung in spröden Gesteinsabfolgen
der Grund für die Ausbreitung elastischer Schwingungen im
Erdinneren, die sich an der Erdoberfläche als Erdbeben bemerkbar
machen. Diese werden seit dem Jahr 1892 von einer wachsenden
Anzahl seismologischer Stationen weltweit und permanent
überwacht, registriert und anschließend für die statistische
Ermittlung des Erdbebenrisikos archiviert (z. B. Seismoverbund
Sachsen, Deutsches Regionalnetz Seismischer Stationen; GEOFON; MedNet; Italian Experimental Seismic Network;
GSN: Global
Seismograph Network, IRIS: Incorporated Research Institution for
Seismology).
In erdbebengefährdetem und von Menschen bewohntem Gebiet ist es
aus Gründen der Daseinsvorsorge essentiell wichtig, nicht nur
aus statistischen Berechnungen das Erdbebengefährdungspotential
so präzise wie möglich zu kennen, sondern auch exakte
Information über die Geologie des Untergrundes zu haben, weil
die makroseismische Intensität von lokalen geologischen
Verhältnissen abhängt (G. Bock [GFZ Potsdam], zitiert in:
Lexikon der Geowissenschaften Bd. 3, Spektrum
Akademischer Verlag, Heidelberg, Berlin 2000; G. Eisbacher
(1991): Einführung in die Tektonik, Enke Verlag, Stuttgart).
Solche Daten können trotz schwerer Zugänglichkeit des
Erdinneren direkt und/oder indirekt beschafft werden:
Direkt aus Bohrungen ermittelte Daten sind in der Regel selten
verfügbar, sehr teuer und reichen derzeit nur bis knapp über
10 km Teufe. Dennoch sind daraus stammende Informationen
über Fluidflüsse, Permeabilitäten, Temperaturverteilungen -
das sind Faktoren, die weitreichenden Einfluss auf die
physikalischen Eigenschaften des Gesteins haben - sowie über
teufenbezogene Scherspannungswerte sehr wichtig.
Die Angaben zu indirekt aus Kartierungen ermittelten Strukturen
und Lithologien werden zur Teufe hin generell unschärfer.
Ausserdem sind Profilkonstruktionen nach Informationen aus
geologischen Landesaufnahmen auch in günstigsten Fällen nur bis
wenige Kilometer Teufe möglich: viele von den zum geologischen
Untergrund hin einsetzenden Änderungen des strukturellen Baus
oder der Gesteinszusammensetzung sind - auch bei noch so
sorgfältiger Arbeit - aus Geländedaten alleine nicht
erschließbar.
Einen Lösungsansatz für dieses Problem bietet die Kombination
der oberflächennahen lithostratigraphisch-tektonischen
Informationen mit den viel tiefer reichenden Daten aus
geophysikalischen Explorationsmethoden (z. B. angewandte Seismik:
Seismostratigraphie mittels Leithorizonten; Geoelektrik, etc.).
Dadurch wird die verdeckte Geologie - Strukturen (Faltenbau,
Störungen), lithologischen Heterogenitäten - des tieferen
Untergrundes viel genauer erfasst. Diese Methode wird seit
Jahrzehnten in der Erdöl-Erdgas-Exploration erfolgreich
angewandt.
Kennt man ausserdem noch die geodätischen Daten aus
GPS-gestützten Langzeit-Messkampagnen zur Registrierung der
Verformungsraten an der Erdoberfläche, so können aus allen
Informationsquellen zusammen
Wissend um die kalkulatorischen und technischen Grenzen bei
der Lokalisierung potentieller natürlicher seismischer Quellen
in einem komplex gebauten geologischen Untergrund, ist bei
Seismologen die Machbarkeit einer kurzfristigen und
verlässlichen Vorhersage betreffend Magnitude, Ort und Zeit von
Erdbeben sehr umstritten. Zweifellos steigt aber die Qualität
der Prognosen, je mehr Präzisionsdaten über Eigenschaften,
Zustände und Strukturen der festen Erdoberfläche (geologische
Landesaufnahme, Geodäsie, GPS) und des geologischen Untergrundes
(geologische Landesaufnahme, angewandte Seismik, Geoelektrik,
Geomagnetik) in die Rechenprogramme von Erdbebenwarnsystemen
seismologischer Dienste einfließen.
Der Autor kartiert lithostratigraphisch und strukturgeologisch in
der Zone
von Monticiano-Roccastrada, die in einem tektonisch und
seismisch aktiven Gebiet (Südtoskana, Italien) liegt, das rezent
durch episodische, schwache Flachbeben gekennzeichnet ist (Istituto Nazionale di
Geofisica, Roma).
© Dr. Hubert Engelbrecht