Für den Fortbestand eines Historischen Bergbaumuseum

05.07.2020

Sehr geehrte Damen und sehr geehrte Herren,

mit Erstaunen las ich in der SZ 150: R7 (02.07.2020), dass der Fortbestand des Historischen Bergwerks in seiner bisherigen Form in Frage steht. Als Gründe werden in diesem Kurzbeitrag genannt: "überalterte Technik", "Gesteinsdarstellungen nur aus Pappmache", "Holzverbauungen der Bergbau-Stollen bestehen aus normalem Fichtenholz der 1930er Jahre ohne archäologischen Wert". Nun steht nach komplettem Rückbau der Abteilung Erdöl/Erdgas und der jahrelangen Sperrung des Bereichs "Westdeutscher Bergbau" auch das Weiterbestehen des "Historischen Bergbaus" auf der "Kippe", wie es im Zeitungsbericht heißt.

Weil ich mich mit allen drei Bereichen (Historischer und Westdeutscher Bergbau, Erdöl/Erdgas) zwecks Eigeninteresse und Unterstützung bei Lehrerfortbildungen näher befasst habe, möchte ich mich zu den Um- oder Rückbauplänen äussern. Meines Erachtens kann wegen der zwischenzeitlich stattgefundenen globalen Entwicklung der Rohstoffsituation auf museale Darstellungen dieser Art immer weniger verzichtet werden. Sie gehören dann, wenn sie technisch restauriert, inhaltlich aktualisiert und mit der Jetztzeit in Beziehung gesetzt worden sind, zum Interessantesten, Wertvollsten und Lehrreichsten, was das Deutsche Museum zu bieten haben wird. In diesen Abteilungen wird dargelegt, woher Metalle und Baustoffe stammten, aus denen viele der in den anderen Museumsabteilungen ausgestellten Objekte bestehen und wo die Energierohstoffe gewonnen wurden, die notwendig waren zum Betrieb der ausgestellten Maschinen.

Zunächst aber zur Würdigung des Bestandes Historischer Bergbau: In den Dioramen und an den Abbauorten sieht man eindrücklich, wie gefährlich, ungesund und anstrengend das Hervorholen von Naturbausteinen und Bodenschätzen war, als nur tierische und menschliche Muskelkraft, einfachstes Werkzeug und Gerät sowie die physikalischen Gesetze der Mechanik verfügbar waren.
Hier wird der Besucher gründlich "geerdet", indem er erfährt, woher die Rohstoffe stammen, aus denen viele der Objekte aufgebaut sind, mit denen er alltäglich in der Technosphäre hantiert. Ich kenne keinen anderen Ort in dieser Stadt, an dem geologische Formen im Maßstab 1:1 besser nachgebildet worden wären und im wörtlichen Sinn begreifbar gemacht worden sind als im Historischen Bergwerk. Hier bekommt der Bürger einen plastischen, dreidimensionalen Einblick in Aufbau und Zusammensetzung des Untergrundes: Schichtung und Klüftung in Sand- und Kalkstein, geschiefertes Tongestein, Fließfalten und Störungen im Salzgebirge, Pechkohleflöze in den Sandsteinen der Faltenmolasse. Auch wenn diese Gebilde nur aus Pappmaché bestehen: besser kann man sie kaum imitieren.
Bestens gelungen sind die Nachbildungen der engen und dunklen Bergwerks-Stollen samt ihren Förderstellen, Füllorten, Transportstrecken und Grubenwasserhalteeinrichtungen. Ich bin der Meinung, dass hier das Denkmalschutzrecht greift.
Äusserst einprägsam die archäologische Sammlung begbauhistorischer Werkzeuge (das Gezähe; einschließlich die Geräte zum Schutz des Bergmanns vor Verletzungen) und die Miniaturdarstellung eines Gangbergbaus, hergestellt in der Modellwerkstatt der kgl. Bergakademie zu Freiberg in Sachsen (1906). Es sind sehr instruktive und einprägsame, teilweise aber auch erschütternde Szenebilder aus den Anfängen des Anthropozän bzw. der Industrialisierung, als bis zur Erfindung des Schwarzpulvers das menschliche Maß (maximal 100kWh/Jahr) das Vorankommen in Stollen und Schächten bestimmte und die Bergmänner mangels besserer/gesünderer Arbeit unter täglichem Einsatz ihres Lebens ihr karges Brot verdienten. Diese einprägsame Veranschaulichung des menschlichen Maßes ist hier deshalb so wichtig, weil es spätestens mit Beginn der Phase der "Großen Beschleunigung" des Anthropozäns fast vollends abhanden gekommen ist: gemittelt wären ca. 229 Arbeitssklaven pro Weltbürger notwendig, um die globale, in Maschinen und Elektrogeräten verrichtete Arbeit - 624 Exajoule waren es im Jahr 2018 nach Daten des Bundesamtes für Geowissenschaften und Rohstoffe - von Menschenhand erledigen zu lassen.

Man bewegt sich im Bergwerk an einem dicht gedrängten Spalier aus Beispielen realisierter, historischer kreativer Gedankenimpulse entlang: eine endlos scheinende Reihe von Geistesblitzen, Erfindungen und Innovationen, um die Arbeit untertage durch Technik zu erleichtern, um sie weniger gefährlich zu machen, um effizienter zu fördern und schneller fündig zu werden. Hier begreift jeder, worauf der westliche Wohlstand gründet, wie die materiellen und energetischen Grundlagen für Versorgung und Mobilität geschaffen wurden, wie dieses System sich immer weiter differenzierte und Raum griff. Im Historischen Bergwerk versteht man, dass der westliche Status sowohl auf den Ideen geistiger Koryphäen gründet als auch auf schwerster Kärrnerarbeit, geleistet in den oft nur kurzen Leben ungezählter Bergarbeiter.

Auf einige der Schattenseiten des Bergbau wird z. B. im Saal mit dem Braunkohle-Tagebaumodell indirekt hingewiesen: - Auf die zu erwartenden Interessenkonflikte, sobald der wandernde Abbau sich auf einen Teil der Infrastruktur oder eine natürliche Barriere zubewegt. - Auf die öden, km² messenden Mondlandschaften, die von den Schrämladern geschaffen werden. - Auf teilweise erstaunlich schöne und interessante Fossilien in einer Braunkohleschicht: Die dadurch hervorgerufenen ästhetischen Empfindungen sollen zum Nachdenken anregen, ob es denn gut sein kann, natürliche Massengräber dieser Art als Energieträger zu definieren, sie in wachsendem Ausmaß zu plündern und ihren organischen Inhalt in Strom, Wärme, Asche und Gas umzuwandeln.

Auch wenn dem normalen Bürger der westlichen Industriestaaten u. a. wegen Arbeitsteilung und Fernversorgung die Welt der Lagerstätten und Montanindustrie normalerweise verborgen bleibt, so ist er wegen seines immer wiederkehrenden Bedarfs doch von ihr direkt und essentiell abhängig. Im Museum Historischer Bergbau wird er in komprimierter Folge, mit großer Hingabe zum Detail und von der Pieke an über die technischen Entwicklungen informiert, die diese materiellen und energetischen Versorgungssysteme über die Jahrhunderte aufbauten und instand hielten. Dieser bergbau-geschichtliche Überblick befähigt den Verbraucher, seine existentielle Abhängigkeit von den Versorgungsketten und die Wirkungen seines materiellen und energetischen Fußabdrucks besser einzuordnen und zu begreifen. Genannte Abhängigkeit - der Rohstoffbedarf betrug nach Cooper et al. 2018 ca. 316 GT/Jahr - hat sich seit Beginn der Industrialisierung zu solchen Ausmaßen gesteigert, dass viele Wissenschaftler, unter ihnen Prof. E. U. von Weizsäcker und Prof. F. Schmidt-Bleek, auch wegen der damit verbundenen Umweltschäden davor zu warnen begannen. Die aus den Bergwerken der Welt versorgte Verarbeitungsindustrie und Weltwirtschaft sind in ihren derzeitigen Entwicklungsständen, so hat sich herausgestellt, zudem unvereinbar mit dem Erhalt der Biodiversität (Otero et al. 2020).

Hiermit empfehle ich nachdrücklich, die Objekte dieser wunderbaren und einmaligen Ausstellung zu restaurieren, die Schrifttafeln an ihnen zu aktualisieren (und auch - nur an wenigen Stellen - leichter verständlich zu machen), Bezüge zu anderen Abteilungen (Maschinenbau, Strom, Chemie, Physik, Umwelt) herzustellen und freilich auch die Bezüge zum aktuellen Bergbau, der einerseits den grundlegenden materiellen Nachschub liefert für einen nie dagewesener Wohlstand, andererseits aber auch Grund ist für schwere Beeinträchtigungen von Klima, Boden, Biodiversität und der Gesundheit des Menschen. Diese Maßnahmen wären ein weiterer positiver Beitrag dieses Museums zum Thema Technik-Wissenschaft-Verantwortung.

Schließlich: Betreffend die große Halle, die sich an das Gangsystem des Historischen Bergbaus anschließt: Die Objekte, Dioramen, Texttafeln und Bilder, auf denen detailreich die Arten der chemischen und/oder physikalischen Aufbereitung/Veredelung der Bodenschätze gezeigt sind, bedarf der Verbesserung und Aktualisierung. Das gilt ebenso für die Tafeln, auf denen europäische Kohlelagerstätten, die Heizwerte von Kohlen und der natürliche Vorgang der Inkohlung gezeigt sind. Ergänzt werden könnte: Lebenszyklen von Bergwerken (Exploration, Abbau, Schließung, Renaturierung und evtl. Nachnutzung) und ihre Abhängigkeiten von den Marktpreisentwicklungen der Rohstoffe; der Anstieg des globalen sozioökonomischen Metabolismus; positive und negative Folgen des Bergbaus (Wohlstand, Mobilität, technische Geräte, pharmazeutische Produkte, Kunstdünger, Wärme, Strom, etc.; tailings, Umweltverschmutzung, Gesundheitsschäden, Klimawandel, Umsiedlungen, Unfälle, Kriegsgerät, Ewigkeitslasten, Grubenwässer, etc.); Akzeptanz der Bergbaus in den Gesellschaften (z. B. das Problem Auslandsbergbau) sowie seine Zukunft (wachsende Mengen; höhere Metalldiversität).

Restauration, Erhalt, Aktualisierung und Ergänzung der Ausstellung ehrt die Künstler und Wissenschaftler, die die Ausstellung Historischer Bergbau damals in den 1930er Jahren geschaffen haben sowie die geistigen Pioniere und zahllosen Kumpel, die den Bergbau vorangebracht haben.

Vielen Dank für Ihre Bemühungen

Mit freundlichem Gruß

Hubert Engelbrecht

P.S.: Kostenexplosion bei der Sanierung des Museums hin oder her: Die vorgeschlagenen Maßnahmen sind freilich nur dann realisierbar, wenn sie bezahlbar sind. Die Pläne für den Bau einer neuen luxuriösen Philharmonie aus viel Glas und Stahl für mehr als € 370 Millionen zeigen, dass öffentliche Gelder der Stadt für Kulturprojekte vorhanden und mobilisierbar sind. Eine weitere Einrichtung dieser Art ist aber m. E. gar nicht nötig, weil Großkonzerte auch in der Staatsoper, der Musikhochschule, dem Herkulessaal, dem Gasteig, Cuvilliertheater, Volkstheater, Gärtnerplatztheater, dem Deutschen Theater und in der Olympiahalle abgehalten werden können. Die Proberäume, die Künstler-Garderoben und die Akustik der Konzert-Räume werden nach baulichen und technischen Nachbesserungen allen Anforderungen genügen. Anstatt eines gar nicht nötigen Konkurrenzbaus zur Elbphilharmonie wäre es doch viel sinnvoller, diese Gelder dem in der BRD einzigartigen Museum, u. a. für die oben vorgeschlagene Sanierung und Aktualisierung seiner Bergbau-Abteilungen, zukommen zu lassen.

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